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Hannes Zaugg-Graf

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Das Theater, das Sie heute Abend erleben werden, ist das allerletzte ...

Eröffnungsrede
Uraufführung «Der letzte de Rougemont»
28. Juli 2023

Liebe Theaterbesucherinnen und Theaterbesucher
Eine meiner Tätigkeiten ist das Verfassen von Theaterkritiken. Ich weiss, dass unter Theatermachern teilweise gefürchtet ist, was ich da jeweils in mein Notizbüchlein schreibe, weil ich nicht lobe, wo nichts zu loben ist. Ich versuche zwar jeweils, meine Worte in eine Form zu bringen, die das Annehmen der Kritik erleichtert. Also quasi Salzsäure in einer Kristallkaraffe zu servieren. Normalerweise macht man ja eine Kritik nach der Vorführung. Ich mache heute eine Ausnahme. Und ich muss hier leider tacheles reden, die Karaffe zerschlagen und Ihnen mitteilen: Das Theater, das Sie heute Abend erleben werden, ist das allerletzte. – Ja, so leid es mir tut, denn Ueli Bichsel hat beschlossen, dass dies seine letzte Inszenierung sei. 

«Der letzte de Rougemont» soll also auch die letzte von Bichsel sein. Eigentlich bereits im Jahre 2020 vorgesehen und an dem Ort, wo die Geschichte auch spielt: dem Schloss Schadau. Aber aus verschiedenen Gründen musste man einen anderen Platz suchen und fand ihn erneut bei der Firma Contec hier in Uetendorf. Das Ganze erinnert mich nämlich an meine letzte Freilichtinszenierung vor genau 20 Jahren an genau diesem Ort. Es war «Der Besuch der alten Dame», die ich ebenfalls für die Schlosspiele Thun ebenfalls im Schloss Schadau inszenieren wollte. Aber irgendein Theaterfreak begann damals seine Seespiele Thun und legte seine Premiere auf genau den gleichen Tag wie die Schlossspiele. Und an parallele Vorstellungen eines Musicals und eines Theaters in dreihundert Meter Distanz über den See war natürlich nicht zu denken. Wir fanden hier Asyl und verschoben unsere Premiere einen Tag nach vorne. Bei uns goss es aus Kübeln und wir mussten die Premiere abbrechen, sie hatten das schönste Wetter. Ich geb's zu, ich war «not so amused».

Dafür liess ich dann im Stück statt eines Plakats der Passionsspiele Oberammergau eines der Seespiele Thun ans Pissoir des Bahnhofs Güllen heften und den Bahnhofsvorstand jeden Abend dahinter urinieren. Darüber war dann wiederum Ueli Bichsel «not so amused». Aber wie Sie sehen, wir fanden uns wieder. Denn letztlich ging es uns immer um dasselbe: Gutes Theater mit Handlungen, Emotionen und Szenen, die dem Publikum im Gedächtnis haften bleiben. 

Ueli Bichsel und sein Team blieben dem Theater treu, ich nur hinter den Kulissen. Ich wechselte die Bühne und bin seit längerem einer der wenigen Politiker, die auch zugeben, dass sie dem Volk hin und wieder etwas vorspielen. Es gibt übrigens einige Politikerinnen und Politiker, die zugeben, dass sie gerne in die Schauspielerei eingestiegen wären. Umgekehrt ist das komischerweise nicht der Fall. Vielleicht liegt das daran, dass man auf einer Theaterbühne entweder Talent oder eine Ausbildung braucht. In der Politik ist beides nicht nötig. Oder höchstens Talent zur Selbstdarstellung. Es ist aber auch sonst einfacher in der Politik: Man kann den Redetext verlassen, ohne damit andere zu irritieren oder gar aus dem Konzept zu bringen. Auch in der Politik gibt es Souffleure, manchmal sind die sogar lauter als die Darstellenden. Im Gegensatz zum Theater hat in der Politik jeder Nebendarsteller das Gefühl, er spiele die Hauptrolle. Und wenn es nicht gut ausgeht, dann liegts auf beiden Bühnen an der schwachen oder fehlenden Regie. Aber auch sonst haben Theater und Politik viele Gemeinsamkeiten, sowohl in Form als auch im Inhalt. Theater bringt auf der Bühne in einer begrenzten Zeit eine Geschichte oder eine Überzeugung zum Ausdruck. Es benutzt dazu die Dramaturgie, die Symbolik und manchmal auch die Überspitzung. Auch die Politik arbeitet mit Ritualen und der Symbolik. Auch die Politik überspitzt sehr gerne und driftet leider immer häufiger ins Gebiet der Fiktion ab, deklariert das Ganze aber trotzdem mit dem Zettel der Wahrheit. Mich erstaunt immer wieder, wie gut Politikerinnen und Politiker mit etwas durchkommen, das man ihnen nachweislich als Lüge beweisen kann. Als Theaterkritiker würde ich da in mein Notizbüchlein schreiben: «Inhalt unglaubwürdig». Aber die erhalten sogar noch Applaus dafür! 

Wie dem auch sei. Als Politiker erlebt man fast so viel wie als Theatermacher. Und muss zudem nur Reden vorbereiten… Klammerbemerkung: Das hier ist eine Rede und keine Sage, man braucht also nur zu reden, ohne dabei etwas zu sagen – Klammerbemerkung geschlossen. – Man schreibt also eine kleine Rede, kriegt vorher einen Apero – und zwar mit Alkohol, nicht so wie die, die nun da hinten auf ihren Auftritt warten und erst danach einen heben dürfen – geht danach auf seinen Platz und geniesst den Abend. Nichts von vorher den ganzen Nachmittag auf die WetterApp starren um zu schauen, ob es stabil bleibt. Nicht von in der grössten Scheisshitze in dickstoffige Theaterklamotten zu steigen, deren einziger Vorteil darin besteht, dass sie allen Schweiss aufsaugen und dafür spätestens nach der zweiten Vorstellung stinken wie eine Sau. Kein Lampenfieber, weil man monatelang geprobt hat und eigentlich jedes Wort und jeden Gang kennt, aber aus Erfahrung weiss, dass ein Black im Gehirn wirklich ein Black ist und man dann nicht einmal mehr das hört, was der neben einem verzweifelt zu flüstern versucht. Keine Aufregung, wenn etwas nicht so läuft wie es geprobt war, obschon das ja niemand merkt weil die im Publikum nie dabei waren auf den Proben und man sich ergo gar nicht aufzuregen bräuchte… Aber man regt sich eben trotzdem auf! – Alles ganz entspannt und gechillt, während hinter den Kulissen jetzt alle schon wie Pferde bei einem Pferderennen in ihren Startboxen scharren und denken: «Wie lange quasselt der da vorne noch? Wir wollen jetzt auftreten!» 

Weil ich eben die Bühne gewechselt habe, ist diese Rede da anlässlich der Uraufführung von «Der letzte de Rougemont» gleichzeitig quasi meine letzte Amtshandlung als Grossratspräsident von 2019/2020. Es wäre nämlich damals wirklich der letzte offizielle Anlass gewesen, den ich im Mai 2020 im Amt wahrgenommen hätte. Wäre und hätte, der vermaledeite Kronenkäfer hatte etwas dagegen. Gott sei Dank ging diesem in der Zwischenzeit der Schnauf aus. Aus dem Konjuktiv wird deshalb heute ein Imperativ und ich wünsche deshalb dem ganzen Team zur heutigen premiere: Toi-Toi-Toi! Doch halt. Weil es eben die letzte Premiere ist, gehört sich hier auch noch der Dank. 

Danke Ueli und Daniela – stellvertretend für das ganze Team, denn Theater funktioniert nur im Team – danke für euren langen Schnauf. Danke für die vielen unvergesslichen Theaterprojekte an spannenden Orten. Von Meikrich über den Münsterplatz in Bern bis zum Bären in Trubschachen. Vom Schloss Thun über eine Autogarage, eine Druckerei bis zu einem Elektrizitätswerk; um nur einige zu nennen. Danke für eure Begeisterung und die Fähigkeit, andere zu begeistern. Wer nicht selber Theater macht, hat zum Teil keine Ahnung, wie viele Leute hinter einem solchen Projekt stehen, die man nie im Rampenlicht sieht. Das funktioniert nur, wenn man Mal für Mal diese Leute von den eigenen Ideen überzeugen kann. Danke für eure Spuren in der Theaterwelt: Die Schlosspiele, die Seespiele, das Theater am Tatort und unzählige Stücke, die andere Gruppen nachspielen können. Danke, dass ihr uns auch heute Abend für eine gewisse Zeit aus dem Alltag herausreisst und dank der Magie des Theaters in einen anderen Ort und in eine andere Zeit versetzt.

Ach ja und übrigens: Als Theaterkritiker halte ich auch immer ein Auge auf die Dramaturgie des Stücks. Plätschert es einfach vor sich hin oder gibt es Abwechslung im Rhythmus der Szenen, gibt es Brüche in der Handlung und Überraschungen im Ablauf. Wenn jetzt also in einem Theater – sagen wir mal, ein Regisseur und Theatermacher – sagen würde… ja, und nennen wir diese Figur einmal Ueli Bichsel – wenn der jetzt also im zweiten Akt sagen würde, das sei nun definitiv das letzte Mal, dass er das mache und danach – nach der Pause – das Gegenteil passieren würde und er trotzdem weitermachen würde, dann schrübe ich ins Notizbüchlein: «Das ist ein gutes Theater». Viel Vergnügen! 

Hannes Zaugg-Graf

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